Spielzeit 19/20
Das verbindende Motiv der Spielzeit 2019/20 ist Teilen. Von Teilhabe bis Spaltung, von Hingabe bis Trennung gehen wir der Frage nach, was uns verbindet und was uns trennt. Oft sind Teilungen das Resultat einschneidender Ereignisse, nicht selten ihre Ursache.
Solche Ereignisse begegnen uns in der nächsten Spielzeit in unterschiedlicher Form. Wie in einer Versuchsanordnung beschreibt Albert Camus in Die Pest eine Gesellschaft im Kampf gegen eine Epidemie und hält dabei ein flammendes Plädoyer für eine pragmatische Solidarität. In Die Mutter aller Fragen oder 25 Rollen, die eine Frau niemals spielen sollte kommt die weibliche Stimme in der Literatur zu Wort: Wer schweigt, wer spricht, wie viel und in wessen Auftrag? Unser Familienstück Die Reise nach Brasilien von Daniil Charms wird ein turbulentes Roadmovie auf fantasievollem Kollisionskurs mit der Realität. Mit dem Rechercheprojekt Parade 24/7 spüren wir auf Basis von Interviews, Zeugenaussagen und Protokollen der Katastrophe bei der Loveparade 2010 in Duisburg nach. Und schließlich begegnen wir in der Produktion NISCHEN verschiedensten gesellschaftlichen Gruppen und Communities der Moerser Stadtgesellschaft. Die Gespräche werden zu einem Audiowalk verdichtet, der durch das Wallzentrum führt.
Ab dem Ende 2019 wird das 1975 im Gründungsjahr des Schlosstheaters eröffnete Einkaufszentrum Wallzentrum unter dem Titel Das W – Zentrum für urbanes Zusammenleben zum Mittelpunkt eines umfangreichen Projektvorhabens. Im Rahmen des Förderprogramms „Neue Wege“ erhalten wir vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW die Möglichkeit, das Wallzentrum drei Jahre lang mit kulturellen und künstlerischen Mitteln zu beleben. Dazu laden wir Expert*innen aus den Bereichen Architektur, Soziologie, Design und Kunst ein und kooperieren mit sozialen und kulturellen Einrichtungen, um gemeinsam mit den Menschen, die dort leben und arbeiten, Perspektiven urbanen Zusammenlebens neu zu denken, zu entwickeln und zu erproben.
Die Inszenierung der Erzählung Lenz von Georg Büchner kam auf Grund einer glücklichen personellen Konstellation zusätzlich ins Programm und hatte am 5. Juni in der Kapelle coronabedingt vor 12 distanziert sitzenden Zuschauer*innen Premiere. Der Schauspieler Roman Mucha spielt darin körperlich und sprachlich virtuos die Figur des Sturm und Drang-Dichters Lenz im Dialog mit der Schlagzeugerin Mariá Portugal, der Improviserin in Residence 2020. Die Aufführung ist eine Kooperation mit dem moers festival und wird in die kommende Spielzeit übernommen.
Durch den coronabedingten Shutdown durfte das Schlosstheater ab dem 13. März nicht mehr spielen und musste in der Folge alle geplanten Vorstellungen bis Ende Mai absagen. Besonders schmerzhaft war die Absage des bereits vollständig geplanten 28. Kinder- und Jugendtheaterfestivals Penguin’s Days vier Tage vor seiner Eröffnung.
Nach einem Moment der Schockstarre wurden vom gesamten Team mit viel Einfallsreichtum alternative coronataugliche Ersatz-Formate entwickelt, u.a. ein Online-Spielplan, in dem Video-Mitschnitte vergangener Inszenierungen auf der Homepage und der Facebook-Seite des Schlosstheaters, aber auch auf der Seite des Online-Theaterfeuilletons Nachtkritik zu sehen waren. Die Live- Streams auf Facebook wurden von Live-Chats mit dem Ensemble begleitet, um das Gemeinschaftserlebnis Theater so gut wie möglich in den digitalen Raum zu übertragen. Zudem drehte das Ensemble kleine Videofilme, um mit unserem Publikum via Facebook weiterhin in Verbindung zu bleiben.
Die Spielzeit 2019/20 wurde überschattet vom plötzlichen Tod unseres langjährigen Ensemblemitglieds, Schauspielers und Regisseurs Frank Wickermann, der am 2. April 2020 im Alter von 54 Jahren völlig unerwartet verstarb. Sein Tod hinterlässt eine große und schmerzhafte Lücke, die sich auf absehbare Zeit nicht schließen lässt. Da durch die coronabedingten Beschränkungen keine angemessene Trauerfeier möglich war, wird es eine Abschiedsveranstaltung im Schlosspark Ende August geben.
