
Spielzeit 18/19: Verkünden | Erlösen | Frohlocken
Es ist schon erstaunlich, wie schnell die Stimmung kippt. Seit dem letzten Jahr werden wir mit Berichten einer aus den Fugen geratenen Welt geflutet – inklusive unberechenbarer Staatsführer, manipulativer Datenkraken und drohender Kriegsszenarien. Geschieht das alles wirklich? Oder sind das die Folgen eines nervösen Nachrichtenalarmismus, der jede Information exponentiell vergrößert und beschleunigt? Sind wir am Ende aus dem westlich-saturierten Schlaf der Ahnungslosen aufgewacht und realisieren erstmals die Auswirkungen unseres globalen Handelns?
Und vor allem: Was davon ist wahr? Die politischen Statements werden immer einfacher und nähern sich in 140-Zeichen-Portionen auf erschreckende Weise der Freund- Feind-These von Carl Schmitt: „Die eigentliche politische Unterscheidung ist die von Freund und Feind. Der politische Feind braucht nicht böse, er braucht nicht hässlich zu sein; er muss nicht als Konkurrent auftreten, und es kann vielleicht sogar vorteilhaft und rentabel scheinen, mit ihm Geschäfte zu machen. Er bleibt aber ein Anderer, ein Fremder.“
In den Echokammern, Realitätstunneln und Filterblasen des Internets haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Und Heilsversprechen finden sich gleich nebenan, manchmal schon in den verborgenen Nischen einer Moerser Tiefgarage. Wenn Wahrheit und Realität immer mehr zur Disposition stehen, dann sollte man entschieden auf die Macht der Fiktion setzen. Also setzen Sie Ihren Aluhut auf und kommen Sie umgehend ins Theater. Wir haben, was Sie brauchen. Mit unserem Resilienz- und Survival-Kit sind Sie in der Lage, den Herausforderungen der Zukunft beherzt entgegenzutreten:
Im Stück Zur schönen Aussicht von Ödön von Horváth radikalisiert sich eine Gruppe gescheiterter Existenzen und schottet sich in einem Berghotel von der Außenwelt ab. Jede hinzukommende Person wird als Feind betrachtet und bekämpft. Der Text von 1926 ist ein bitter-komisches Panoptikum der Zwischenkriegszeit, das sich wie eine Parabel auf die aktuelle Situation in Europa lesen lässt.
Im Rahmen des Programms „Doppelpass Plus“ der Kulturstiftung des Bundes findet als Kooperation zwischen dem STM und der Performance-Gruppe vorschlag:hammer die Inszenierung „Körperatlas. Expedition in die Eingeweide“ statt, die den Blick nach innen richtet und die Organisation und Demokratiefähigkeit menschlicher Organe untersucht.
Elisa und die Schwäne nach Hans Christian Andersen und den Gebrüdern Grimm erzählt eine Geschichte über Mut, Vertrauen und die Kraft des Zusammenhalts unter Geschwistern – für alle ab 5 Jahren. Die Regisseurin Catharina Fillers arbeitet erstmals im STM und inszeniert das Kinder- und Familienstück „Elisa und die Schwäne“ in einer eigenen Textassung in Anlehnung an die Märchenerzählungen der Brüder Grimm und Hans-Christian Andersen.
Friedrich Schiller entwirft mit Kabale und Liebe ein Lehrstück über Projektionen und eine Lektion über den Preis der „Liebe, den wir nicht zahlen wollen“ (Etel Adnan). Im Zentrum der Inszenierung stehen die asymmetrischen Machtverhältnisse und die Frage, welche Alternativen es aus heutiger Perspektive zum klassischen Frauenopfer als bürgerlicher Katarsis am Ende der Geschichte gibt.
Die Stückentwicklung„Illuminatics. Ein Mindfuck-Workout in 23 Stufen“ von Matthias Heße setzt sich am Ende der Spielzeit spielerisch mit Verschwörungstheorien und ihren Folgen auseinander und beantwortet alle noch offenen Fragen. Die Stückentwicklung basiert auf Motiven der Romantrilogie „Illuminatus!“ von Robert Shea und Robert Anton Wilson. Es geht um eine Familie, die einen Online-Handel für Verschwörungstheorien betreibt und sich dabei selbst zunehmend in alternative Realitäten verstrickt, bis nichts mehr so ist, wie es scheint.
Die Spielzeit 2018/2019 wurde überschattet vom plötzlichen Tod des Leiters des Jungen STM, Holger Runge, der am 6. November 2018 im Alter von 54 Jahren völlig überraschend starb und das gesamte Theater und die Mitglieder des Jungen STM in einen Schockzustand versetzte. Der Versuch, die von ihm verantworteten Projekte und Gruppen soweit als möglich fortzusetzen und weiter zu betreuen, prägte die gesamte Spielzeit. (siehe „Mehr“: Zum Tod von Holger Runge)